Bundesliga: Urteil zu Polizeikosten im Fußball birgt Explosionsgefahr
Gestern um 09:47 AM
Das Bundesverfassungsgericht ermöglicht den Ländern, Gebühren für Polizeikosten bei Fußballspielen in besonderen Fällen auf die Vereine umzulenken. Das birgt Konfliktpotenzial. Wer ein Stadion im Profifußball besucht, entdeckt sie meist schon bei der Ankunft an der Bahn- oder Bushaltestelle: Polizisten in ihren Uniformen. Normalerweise sind ein paar hundert Beamte pro Bundesliga-Spiel im Einsatz. Bei sogenannten "Hochrisikospielen" sind es aber in der Regel mehr als 1.000 Polizisten. So sollen Ausschreitungen beim Aufeinandertreffen verfeindeter Fanlager verhindert werden. Dabei greift die Polizei auch auf Hubschrauber und Wasserwerfer zurück. Die Mehrkosten dafür sind hoch. So hoch, dass der Stadtstaat Bremen im November 2014 diese nicht mehr zahlen wollte und der DFL (Deutsche Fußball Liga), dem Veranstalter der Bundesliga-Spiele, diese in Rechnung stellte. Mehr als 400.000 Euro forderte Bremen für den Polizeieinsatz bei der Partie Werder Bremen gegen den Hamburger SV: Die DFL legte Einspruch ein. Es folgte ein jahrelanger Prozess in verschiedenen Gerichtsinstanzen, der am heutigen Dienstag ein Ende fand. Die DFL scheiterte vor dem Bundesverfassungsgericht , Bremen bekam recht. Ab sofort können die Landesregierungen den Profifußballklubs die Mehrkosten bei Hochrisikospielen der DFL in Rechnung stellen. Diese wird voraussichtlich die Kosten auf die Klubs abwälzen. Doch das wird teuer. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) rechnet für alle Klubs mit zusätzlichen Gebühren von 20 bis 30 Millionen Euro pro Saison. Denn Hochrisikospiele gibt es regelmäßig, in der Saison 2022/23 waren es bei insgesamt 612 Begegnungen in der 1. und 2. Liga 52 Partien. Experte schätzt Lage ein Sportrechtler Dr. Paul Lambertz empfindet die Entscheidung als ein "gerechtes Urteil". Im Gespräch mit t-online sagt er: "Das Urteil besagt: Es gibt keinen Anspruch darauf, dass polizeiliche Einsätze kostenfrei sein müssen. Das Urteil entspricht wohl dem, was sich auch die meisten Akteure außerhalb des Fußballs gewünscht haben." Gleichzeitig stellt Lambertz klar: "Die Gebühren können erhoben werden, sie müssen es aber nicht. Es bleibt also den Ländern frei, zu entscheiden, wie sie damit umgehen wollen." Berlin gab beispielsweise schon bekannt, keine Gebühren erheben zu wollen. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) hingegen erklärte in einer Mitteilung: "Wenn sich an der Situation auch weiterhin keine nachhaltigen Verbesserungen ergeben, werden wir jedoch nicht umhinkommen, ebenfalls Gebühren zu erheben." Viele andere Bundesländer sind noch unentschlossen, Thüringen strebt beispielsweise eine "bundeseinheitliche Lösung" an. Angesichts der unterschiedlichen Denkweisen in Bremen und Berlin wird das aber gar nicht so leicht. Für Werder Bremen wäre eine einheitliche Lösung aber wichtig. Der Erstligist fürchtet einen Wettbewerbsnachteil. "Wir müssen nun im Ligaverband Diskussionen führen. Werder darf nicht alleine die Zechen zahlen. Das wäre eine Benachteiligung für uns, das tut uns weh", sagte Tarek Brauer, Geschäftsführer Organisation und Personal bei Werder, in Karlsruhe: "Die DFL ist mindestens Co-Veranstalter, und auch die Gästefans tragen zu einem Hochrisikospiel bei. Wir wünschen uns die Solidargemeinschaft der Liga und eine faire Verteilung der Kosten." Nach aktuellem Stand würde Werder Bremen jährlich pro Hochrisikospiel eine sechsstellige Summe zahlen müssen, Union Berlin null Euro. Ob aber die Forderung Werders bei anderen Vereinen anderer Bundesländer auf Gegenliebe stößt, bleibt aber anzuzweifeln. Das gilt auch für die Vereine, die nahezu keine Hochrisikospiele haben. Zudem schloss die DFL eine solche Lösung bisher aus. DFL-Boss Hans Joachim Watzke sagte vor dem Urteil: "Es wird nicht so kommen, dass die Klubs aus den Bundesländern, in denen diese Kosten nicht erhoben werden, in einen Solidartopf einzahlen." Das Konfliktpotenzial ist hoch. Wer entscheidet über Hochrisikospiele? Da nun die Vereine in einzelnen Fällen für die Mehrkosten aufkommen müssen, könnte auch die Forderung nach Mitspracherecht aufkommen. Denn ein Spiel als Hochrisiko gewertet wird, entscheidet bisher vor allem die Polizei mithilfe eines Ampelsystems. Die Hochrisikospiele sind "Rotspiele", ungefährliche Partien sind "Grünspiele". Zwar können die Vereine einzelne Spiele mit Grün bewerten, die Polizei kann diese jedoch überstimmen. Diese Machtkonstellation wird mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts brisanter. Jedoch vermutet Sportrechtler Lambertz, dass der Einfluss der Fußballklubs ein eher geringer bleiben wird: "Wenn es einen krassen Ermessensfehlgebrauch seitens der Polizei bei der Bestimmung eines Hochrisikospiels gibt, dürfte das von den Klubs angegriffen werden können. Aber ansonsten dürfte sich die Bestimmung, wann ein Spiel besonders gefährlich ist, im kaum angreifbaren Ermessensspielraum der Behörden bewegen." Dennoch bleibt die Frage, wie viele Helikopter, Wasserwerfer oder Beamte genau nötig sind bei einem Hochrisikospiel, eine, die betroffene Klubs wohl rechtzeitig klären wollen, um die Kosten zu kennen. Die Polizei wird sich hingegen ungern in diese Themen hereinreden lassen. Es gibt also auch an dieser Stelle zumindest Klärungsbedarf. "Dies muss aus unserer Sicht unbedingt verhindert werden" Besonders prekär wird es für kleinere Vereine aus der 3. Liga oder sogar der Regionalliga, sollten ihnen die Kosten von Hochrisikospielen in Rechnung gestellt werden. Denn sechsstellige Ausgaben kann sich kaum einer von ihnen leisten. Dabei gibt es auch in diesen Ligen Hochrisikospiele. In der Regionalliga Nordost treffen beispielsweise die Stadtrivalen Lokomotive Leipzig und Chemie Leipzig aufeinander. In der 3. Liga sind es unter anderem der FC Hansa Rostock und Dynamo Dresden . Der DFB bezeichnete die möglichen Folgen des Gerichtsurteils daher als "existenzgefährdend". "Dies muss aus unserer Sicht unbedingt verhindert werden", ergänzte der Fußball-Dachverband. Alternativ bliebe den Vereinen kaum etwas anderes übrig, als die Ticketpreise zu erhöhen oder begrenzte Kartenkontingente zu verkaufen. Optionen, die bei den Fans einigen Unmut auslösen würden. Schließlich sind die Ticketpreise bereits im Zuge der Corona-Krise gestiegen, da viele Vereine finanzielle Löcher stopfen mussten. Klar ist: Mit dem Gerichtsbeschluss ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die entscheidenden Tage und Wochen beginnen nun – und können die Fronten verhärten.